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Die komplexe Wechselbeziehung zwischen Innen- und Außenwelten bestimmt das umfangreiche Werk Maria Lassnigs über mehr als ein halbes Jahrhundert fast vollständig. Die Art und Weise ihrer so faszinierenden Introspektion, die sie über Jahrzehnte formal und farblich vorantreibt und immer weiter vertieft, sichert ihr eine einzigartige und singuläre Position im internationalen Kunstschaffen der Gegenwart. Trotz extremer Auseinandersetzung mit sich selbst ist Maria Lassnig in ihrer Kunst alles andere als eitel, sie ist ehrlich bis zur Schmerzgrenze und auch darüber hinaus. Ihre Selbstdarstellung ist, so die Künstlerin, „Einsamkeit des Kritischen, Unvermögen der Ausbeutung eines Anderen, Meditation und Ansetzen eines wissenschaftlichen Skalpells an einem willigen Objekt, dem Selbst“ 1). Zeit ihres Lebens schafft Maria Lassnig ein eindrucksvolles Œuvre an Zeichnungen und Aquarellen auf Papier, Werke, die sie ihren Ölmalereien als absolut gleichwertig und gleichberechtigt ansieht. „Meine Zeichnungen haben mehr Freiheit und Beweglichkeit in sich als die Ölbilder, weil ich ein Blatt Papier, das wohl auf einer harten Unterlage sein muss, besser platzieren kann, auf meinen Knien, auf meinem Bauch im Bett, auf dem Tisch, am Boden… und ich selbst kann davor alle möglichen Stellungen einnehmen, was mit einer aufgespannten Leinwand nicht oder nur schwer möglich ist“ 2). Der Blick nach Innen – der gerade hier mit besonderen körperlichen Druck- und Spannungsempfindungen einhergeht – und dessen materielle Ausformung hat beim Zeichnen einen schnelleren und unmittelbareren Weg von der Körperwahrnehmung zur sichtbaren Umsetzung. In den 1990er Jahren dominieren in ihrem zeichnerischen Werk immer wieder intensive, ja bisweilen aggressiv wirkende Gelb- und Rottöne monochrom die Hintergründe der Darstellungen, und diese intensiven Farben „…steigern nicht nur die Bildhaftigkeit, sondern interpretieren auch inhaltlich die Komposition“ 3). Ein herausragendes Beispiel ihrer Zeichenkunst dieser Jahre stellt nebenstehendes großformatiges, souverän kalligraphiertes „Selbstporträt“ dar, in dem die Künstlerin mit wenigen gezielten Linien und Schraffuren ihre markante Physiognomie festhält. Das maskenhaft bleiche, an der inneren und äußeren Welt zweifelnde, hinterfragende und verunsicherte „alter ego“ der Künstlerin kontrastiert hart mit dem leuchtend roten Hintergrund – „einfaches Rot meist, als plastische Modellierung, ein Schmerzrot, rot ist der Körper wenn man ihm die Haut abzieht…“ 4) –, der den packenden emotionalen Moment dieser großartigen Selbstdarstellung Maria Lassnigs eindringlich unterstreicht.
1) Antonia Hoerschelmann, Klaus Albrecht Schröder (Hg.), Maria Lassnig. Ways of Being, Ausstellungskatalog, Stedelijk Museum, Amsterdam, Albertina, Wien 2019, S. 9 2) ebd., S. 18 3) ibd., S. 20 4) ibd., S. 20